Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

Felix Banaszak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Klein, uijuijui! Da haben Sie ja ein großes Geschütz aufgefahren. Ich finde schon spannend, dass Sie der Ministerin vorwerfen – ich habe mich fast gewundert, dass Sie es nicht gleich der kompletten Ampel vorwerfen –, sie täte nicht genug für die Akzeptanz und fürs Verständnis der Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube Ihnen sogar, dass Sie das ernst meinen. Sie haben ja gemeinsam mit dem Kollegen Hermann Gröhe hinter Ihnen einen tatsächlich bemerkenswerten Brief geschrieben. Aus dem möchte ich gerne allen im Haus ein bisschen zitieren; deswegen habe ich ihn mitgebracht. Sie wollen in dem Brief ein paar Erläuterungen und Klarstellungen zur deutschen Entwicklungsarbeit liefern. Er umfasst elf Seiten, ich nehme nur ein paar Ausschnitte: „Entwicklungszusammenarbeit unterstützt grundsätzlich auch den Aufbau politischer internationaler Partnerschaften.“ Das sei wichtig für uns. Dann gibt es noch einen ganz spannenden Exkurs, der sich auf die Debatte im März zur Förderung des Baus von Fahrradwegen in Peru bezieht – wir erinnern uns daran –: „Maßnahmen zur CO2-Senkung in Peru zu fördern, ist im deutschen Interesse.“ Man höre und staune! „Deshalb hat das BMZ noch unter Unionsleitung die Unterstützung dieses Projekts mit 20 Mio. Euro zugesagt.“ Spannend wird es auch noch. So schreiben Sie: „Populistisch ist es, bestimmte Entwicklungsvorhaben in einem Entwicklungsland gegen Missstände in Deutschland auszuspielen, z. B.: ‚Wie kann es sein, dass wir Schulen in Afrika bauen, während in Deutschland die Toiletten in den Schulen in einem jämmerlichen Zustand sind?ʼ.“ Sie enden mit dem Satz – und ich teile die Hoffnung –: „Wir hoffen, dass diese Ausführungen für Sie informativ und von Nutzen sind und wir so zu einer Versachlichung der Debatte über die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in unserem Land beitragen können.“

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Thomas Rachel [CDU/CSU]: So haben Sie auch etwas gelernt!)

Wissen Sie, wer der Adressat dieses Briefes, der ein richtig guter Brief ist, war? Ihre eigene Fraktion. Sie schreiben Ihrer eigenen Fraktion auf elf Seiten, warum Entwicklungszusammenarbeit wichtig ist.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Die hätten Sie auch mal schreiben müssen! Warum gibt es so einen Brief nicht bei Ihnen?)

Herr Gröhe, jetzt stellen Sie sich mal vor, ich würde meiner Fraktion einen elfseitigen Brief schreiben, warum die Energiewende eine gute Idee ist. Oder stellen Sie sich mal vor, Frau Raffelhüschen würde der FDP-Fraktion einen elfseitigen Brief schreiben mit Argumenten für die Schuldenbremse.

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da müsste man sich doch fragen: Was ist denn da los bei den Fraktionen? Die Frage stelle ich Ihnen: Was ist denn da los bei Ihnen in der Fraktion?

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Zuruf des Abg. Hermann Gröhe [CDU/CSU])

Ich will sie Ihnen sogar gerne beantworten. Sie haben ja wirklich jeden Grund – Herr Gröhe, Sie können mir gerne eine Zwischenfrage stellen –, diese Debatte zu führen. Ihr Erster Parlamentarischer Geschäftsführer meinte: Es geht jetzt im Haushaltsverfahren darum, Prioritäten zu setzen. „Und“ – ich zitiere – „das bedeutet dann … auch, dass bei den konsumtiven Ausgaben, etwa … der Entwicklungshilfe, gespart werden muss.“ Also, was ist denn jetzt? Herr Klein, Sie haben gesagt: Das kann doch nicht sein, dass gespart wird. – Reden Sie mit uns, oder reden Sie mit Ihrer eigenen Fraktion? Ich finde, die Debatte müssen wir führen. Die ist total berechtigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ihr Oberchefhaushälter – Sie haben ja zwei Chefhaushälter –, Herr Middelberg, sagt: Das Geld, das wir hier für Fluchtursachenbekämpfung ausgeben, ist – Zitat – viel zu hoch. Wir geben in Deutschland viel zu viel Geld für Fluchtursachenbekämpfung aus.

(Peter Boehringer [AfD]: Nur für die falsch etikettierte!)

Ja, das ist doch spannend. Das sollen doch alle mal hören. Wir sollen also weniger dafür ausgeben. Ihr zweiter Chefhaushälter Christian Haase: „Bevor wir Milliarden Euro für internationale Maßnahmen wie … Entwicklungshilfe und zum Klimaschutz in anderen Ländern ausgeben“, sollten wir Geld für beispielsweise Hochwassergebiete und die Landwirte ausgeben. Ich finde, Sie haben recht, Herr Gröhe und Herr Klein. Aber warum sitzen Sie dann nicht hier gemeinsam mit den Fraktionskollegen zusammen, denen Sie diesen Brief geschrieben haben? Die könnten ja auch etwas von dieser Debatte lernen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Gröhe?

Felix Banaszak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe ihn ja fast dazu ermuntert. Es wäre falsch, jetzt Nein zu sagen.

Hermann Gröhe (CDU/CSU): Herr Kollege, könnten Sie sich vorstellen, dass es um den Haushalt des BMZ und die Meinungsbildung in der Regierung besser stünde, wenn Sie sich statt mit Meinungsbildung in der Unionsfraktion mal für eine vernünftige Entwicklungspolitik Ihrer Koalition einsetzen würden? Könnten Sie sich das vorstellen?

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)

Können Sie sich vorstellen, dass es Entwicklungshilfeorganisationen gibt, die sich wünschen würden, dass Entwicklungspolitiker bei den Grünen, bei den Liberalen, bei der SPD solche Briefe geschrieben hätten? Könnten Sie sich vorstellen, dass es besser wäre, Sie setzten sich für die Entwicklungspolitik dieses Landes ein, anstatt sich daran abzuarbeiten, dass die Union – das ist Ihnen offensichtlich peinlich – eine starke entwicklungspolitische Bilanz hat und die Ampel eine jämmerliche?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Felix Banaszak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vielen Dank für diese Frage, Herr Kollege Gröhe; ich wäre tatsächlich noch dazu gekommen. – Mein Plädoyer ist das der Ehrlichkeit. Ich bin sehr ehrlich. Ich bin nicht zufrieden mit diesem Entwicklungshaushaltsentwurf. Ich bin damit überhaupt nicht zufrieden; und das kann ich für meine ganze Fraktion sagen. Wir waren auch in der Vergangenheit nicht zufrieden mit den Regierungsentwürfen zu diesem Haushalt, und wir haben das immer sehr, sehr ehrlich in dieser Debatte gesagt.

(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Aber wirkungslos!)

Der Unterschied zwischen Ihnen und mir ist: Ich spreche hier sogar für die komplette grüne Fraktion. Auch der haushaltspolitische Sprecher meiner Fraktion unterstützt die Position, die ich gerade darstelle. Sven-Christian Kindler hat es gesagt, unsere Fraktionsvorsitzenden haben es gesagt: Ist es wirklich klug, in einer Zeit so zu handeln, in der wir vor großen internationalen Aufgaben stehen, in der, wie Frau Schulze es gerade dargestellt hat, beim China-Afrika-Forum 50 Milliarden Euro zugesagt werden, sodass wir uns vielleicht in den nächsten Jahren fragen: „Wie kann es denn sein, dass die afrikanischen Staaten uns in der UN-Vollversammlung nicht mehr bei jeder Resolution unterstützen?“? Ist es klug? Das ist meine Position, das ist die Position der gesamten Grünenfraktion.

(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Wirkungslos in der Regierung seid ihr!)

Ich muss deswegen meiner Fraktion keine Briefe schreiben,

(Volkmar Klein [CDU/CSU]: … weil es aussichtslos wäre!)

weil wir da einer Auffassung sind. Deswegen, Herr Gröhe, sage ich gerne zum Abschluss: Wir haben es in den letzten Jahren, seit Beginn dieser Koalition, seit Beginn dieser Wahlperiode, immer geschafft, im parlamentarischen Verfahren etwas für die Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen.

(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Mehr als 2025!)

In jedem Verfahren stand am Ende mehr als vorher. Ich weiß heute nicht, ob uns das wieder gelingen wird, und das bedrückt mich. Ich weiß nicht, ob uns das wieder gelingen wird, weil die Spielräume in der Tat sehr eng sind.

(Thomas Rachel [CDU/CSU]: 1 Milliarde weniger für die Entwicklungszusammenarbeit!)

Wir fesseln uns auch selbst, weil wir glauben, dass es in der Welt des 21. Jahrhunderts, in der Welt der Zeitenwende, in der Welt großer internationaler Krisen richtig ist, haushaltspolitische Normalität zu postulieren. Ich halte das nicht für klug. Wir halten das nicht für klug. Aber das ist die Rahmenbedingung dieser Koalition. Und in diesem Rahmen werden wir genau wie in den letzten Jahren schauen, was noch zu erreichen ist. Ich lade uns alle ein – ich freue mich, dass Sie da an unserer Seite sind; das meine ich auch durchaus ernst –, uns Gedanken darüber zu machen, ob wir der internationalen Zusammenarbeit und dem internationalen Engagement nicht einen größeren Stellenwert zumessen sollten, als wir es derzeit tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP – Nicolas Zippelius [CDU/CSU]: Gar nicht mal so gut!)

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