Wirtschaft und Klimaschutz

Felix Banaszak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch gut ein Jahr bis zur Bundestagswahl, noch gut ein Jahr Gelegenheit für eine wirtschaftspolitisch fundierte Rede von Ihnen, Frau Klöckner.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Null Prozent Wachstum!)

Wir durften Ihnen gerade bei der dritten Wiederholung eines Sprachbildes lauschen. Sie werfen der Bundesregierung „unterlassene Hilfeleistung“ vor. Das ist ein harter Vorwurf. Aber ich will das Bild gerne aufgreifen. „Unterlassene Hilfeleistung“ heißt, da liegt jemand angefahren nach einem Unfall auf der Straße, und wir laufen vorbei.

(Zuruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU])

Schauen wir uns doch mal an, warum es überhaupt zu diesem Unfall gekommen ist. Warum liegt denn da jemand auf der Straße? Schauen wir uns an, was in den letzten Jahren passiert und eben nicht passiert ist. Sie, Herr Spahn, haben gerade noch mal die tollen zehn Jahre des Wachstums angesprochen.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Richtig!)

In diesen zehn Jahren haben Sie nichts dafür getan, diesen Wirtschaftsstandort dauerhaft und nachhaltig zu sichern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie haben die Zeit nicht genutzt. Sie haben die Zeit sprudelnder Steuereinnahmen nicht genutzt, um Deutschland auf einen Investitionspfad zu bringen. Die Brücken, die heute einstürzen, sind Ihre Brücken, Herr Spahn. Und Ihre Kolleginnen und Kollegen haben da eine Mitverantwortung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Sie haben uns in diesen zehn Jahren, statt uns unabhängiger zu machen von einem schwierigen geopolitischen Umfeld, von Despoten und Diktatoren, schnurstracks in noch mehr Abhängigkeit geführt und wundern sich, dass Deutschland stärker unter den Folgen dieser Abhängigkeit leidet. Das ist Voodoo. Das ist Irrsinn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Als wäre das nicht genug, haben Sie in der Vergangenheit nicht mal bei den zentralen Marktentscheidungen für die Zukunft einen Blick nach außen gewagt und geguckt: Wohin entwickeln sich denn die globalen Märkte? Julia Klöckner wegen muss ich in aller Deutlichkeit sagen: Bei diesem Unfall saßen Sie auf dem Fahrersitz, und Sie haben Fahrerflucht begangen vor einigen Jahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Julia Klöckner [CDU/CSU]: Sie haben gar keinen Führerschein!)

Als wäre das nicht schlimm genug, muss man, wenn man Ihren Reden zuhört, Herr Spahn und Frau Klöckner, befürchten, dass Sie zum Wiederholungstäter werden. Wenn Sie mit einer Despektierlichkeit und Abscheu das Wort „Transformation“ benutzen, als wäre das der Untergang dieses Landes und nicht die Zukunft, wenn Sie viel Unsicherheit in eine eh schon kriselnde Automobilindustrie bringen, indem Sie die Leitplanken der Zukunft, das Aus für eine nicht mehr zukunftsfähige Technologie ab 2035, wieder infrage stellen,

(Zuruf des Abg. Peter Boehringer [AfD])

dann schaut das für mich so aus, als würden Sie sich gerade wieder mit 1,5 Promille ans Steuer setzen und hoffen, dass es diesmal nicht zu einem Unfall kommt. Wir werden dafür sorgen, dass das nicht passiert, dass Sie diese Verantwortung nicht übernehmen werden, Herr Spahn.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber schauen wir uns an, wo wir stehen – wo wir wirtschaftlich stehen und insbesondere wo wir stehen, wenn es darum geht, unsere Wirtschaft, unsere Industrie für die Zukunft aufzustellen. Ja, diese Transformation ist wirklich nicht einfach. Wir sind an einem kritischen Punkt. Wir sind voraussichtlich an dem schwierigsten Punkt, weil jetzt massive Investitionsentscheidungen getroffen werden müssen, weil man weiß, dass das, was ist, keine Zukunft mehr hat, aber noch nicht hundertprozentig sicher ist, wohin die Reise geht.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Die Menschen wollen Fleisch essen und Auto fahren, keine Transformation!)

Das ist eine Erfahrung, die es beim Strukturwandel in diesem Land immer gab: Man weiß, etwas geht nicht weiter, und man wagt einen Schritt in die Zukunft. Aber wenn man sich einmal anschaut, was dieses Land einmal ausgezeichnet hat an Innovationsgeist, an Mut, auch an Risikobereitschaft, dann sind es doch diese Werte, auf die wir uns zurückbesinnen sollten. Stellen Sie sich mal vor, was wäre, wenn man den Zweifeln derjenigen nachgegeben hätte, die sich gefragt haben, ob das mit dem Fahrrad eine gute Idee ist, ob das mit dem Auto eine gute Idee ist,

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

die sich gefragt haben: Warum brauchen wir denn eigentlich Film mit Ton? Der Stummfilm wird doch für immer das beste Ergebnis sein. – Wir wären heute ganz woanders.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Es gibt jetzt zwei mögliche Wege, wir stehen tatsächlich an einer Weggabelung. Sagen wir, weil es Schwierigkeiten geben kann, weil es zum Beispiel beim Markthochlauf von Wasserstoff Probleme geben kann,

(Peter Boehringer [AfD]: Das ist ein Naturgesetz!)

weil es für Unternehmen wie thyssenkrupp Steel, die Milliardeninvestitionen tätigen müssen, Unsicherheiten geben kann: „Ach komm, dann stecken wir doch besser den Kopf in den Sand, da ist es so gemütlich“? Oder sagen wir: „Nein, richtiger wäre, das mit mehr Ambitionen anzugehen, mit mehr Mut, mit mehr Bereitschaft die Zukunft anzunehmen und sie zu gestalten,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

statt uns nach der Vergangenheit zurückzusehnen, weil wir sie gut kennen“? Das ist die Debatte, vor der wir stehen. Lassen Sie mich zum Abschluss als Duisburger etwas zur Situation der Stahlindustrie bei mir vor Ort sagen, weil wir hier genau sehen, dass der Staat eine große, eine entscheidende Rolle dabei spielen kann, Menschen eine Perspektive zu geben. Als Robert Habeck, übrigens gemeinsam mit Hendrik Wüst, im letzten Jahr einen Förderbescheid über 2 Milliarden Euro für die Direktreduktionsanlage übergeben hat, war das Aufatmen groß. Die Beschäftigten haben gesagt: So viel Hoffnung hatten wir noch nie. – Aber die beste staatliche Entscheidung ist nicht immun gegen unternehmerisches Versagen. Die Beschäftigten können sich darauf verlassen, dass wir weiter an ihrer Seite stehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

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