ThyssenKrupp: Eigentum verpflichtet

Es sind unruhige Wochen in Duisburg. Nachdem die Übergabe des Zwei-Milliarden-Euro-Förderbescheids für die Direktreduktionsanlage am Standort von Thyssenkrupp Steel im Duisburger Norden eine Aufbruchstimmung wie seit langem nicht ausgelöst hat, herrschen nun Verunsicherung und Frust. Insbesondere in Duisburg bangen die Beschäftigten und ihre Familien um ihre Arbeitsplätze.

Grund dafür ist die Ankündigung, die Produktionskapazitäten von derzeit 11,5 Millionen Tonnen auf neun bis 9,5 Millionen Tonnen jährlich zu reduzieren – und dies mit einem entsprechenden Arbeitsplatzabbau zu verbinden. Vor allem aber das Vorhaben von Management und Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG, bis zu 50 Prozent der Anteile an den Investor Daniel Křetínský zu verkaufen, sorgt für Unruhe. Eine erste Übernahme von 20 Prozent konnte die Anteilseignerseite im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG nur mit der Doppelstimme des Aufsichtsratsvorsitzenden gegen den Widerstand der Beschäftigten durchsetzen. Damit stehen derzeit nicht nur Tausende von Arbeitsplätzen zur Disposition, sondern auch die in Nordrhein-Westfalen gelebte Tradition von Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe.

Ich habe mit dem Handelsblatt in einem ausführlichen Interview meine Sorgen und meine Kritik an Vorstand und Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG dargelegt.

Worum geht es?

Der Konzern überschreibt den Deal mit Daniel Křetínský als Energiepartnerschaft und verspricht sich von dem Einstieg seiner EPCG-Gruppe die zukunftsfähige Aufstellung des Stahlgeschäfts durch die Energieexpertise und den Zugriff auf grüne Energiequellen. An diese Erzählung einer Energiepartnerschaft glaube ich, offen gesagt, nicht. Man stelle sich doch mal vor: Jedes zukünftig stromintensive Unternehmen in diesem Land käme auf die Idee, 50 Prozent seiner Anteile an einen Stromproduzenten zu verkaufen – was hätten wir dann für eine Wirtschaftsstruktur in diesem Land?

Dazu kommt, dass selbst optimistische Prognosen gar nicht davon ausgehen, dass EPCG 2030 schon ausreichend große Mengen Grünstroms produzieren wird, um den hohen Bedarf von Thyssen-Krupp Steel zu decken. Und viel spricht dafür, dass Herr Křetínský den Strom zu Marktpreisen weitergeben wird und nicht zum Freundschaftspreis.

Warum also dieser Einstieg, warum diese Eile?

Das zentrale Interesse an dem EPCG-Einstieg aus meiner Sicht, dass überhaupt jemand einsteigt – und damit der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ausläuft. Damit endet absehbar auch die Verantwortung des Gesamtkonzerns für die Finanzierung der Stahlsparte, also auch für den Ausgleich von Defiziten. Aber gerade wenn das Stahlunternehmen so umgebaut werden soll, dass es sich zukünftig selbst tragen kann, wird es dafür eine ganze Menge Kapital brauchen.

Es braucht Kapital für den Restrukturierungsprozess selbst, insbesondere wenn dieser sozialverträglich und auch mittel- und langfristig ohne betriebsbedingte Kündigungen erfolgen soll. Es braucht Kapital für Investitionen in den Bestand, denn ein Teil der Performanceprobleme im Unternehmen ist auch auf Investitionsaufschub in den vergangenen Jahren zurückzuführen. Und es braucht Kapital für die Transformation, denn mit dem Bau einer ersten Direktreduktionsanlage in Duisburg-Walsum ist der Umbau zur Klimaneutralität bei weitem nicht abgeschlossen.

Wer bringt also dieses Kapital mit?

Von Herrn Křetínský ist bislang nicht überliefert, dass er das Geld einzubringen gedenkt, das die Stahlsparte jetzt braucht. Es kommt also auf den Mutterkonzern an. Dass dieser – also die Anteilseigner – es kaum abwarten kann, die derzeit defizitären Stahlsparte aus den Konzernbilanzen verschwinden zu lassen – geschenkt. Aber Vorstand und Aufsichtsrat müssen jetzt aufpassen, dass der Preis nicht zu hoch wird. Denn ohne tragfähiges Finanzierungskonzept für die nächsten Jahre, mindestens für einen „Stahlzyklus“, droht auf kurz oder lang die Insolvenz. Tun die Verantwortlichen alles, um ein solches Szenario zu verhindern?

Was macht der Staat?

Die Transformation der Stahlindustrie ist kein Spaziergang, sondern ein harter Marathon. Und sie kann nur gelingen, wenn Staat, Unternehmensführung, Anteilseigner und Beschäftigte an einem Strang ziehen. Bund und Land haben mit der Förderzusage über zwei Milliarden Euro für Investitions- und Betriebskosten ihr Commitment abgegeben. Aber dieser Förderbescheid ist kein Blankoscheck, sondern an Bedingungen geknüpft. Der Staat wird öffentliche Gelder nur dann bereitstellen können, wenn die Unternehmensstrategie erwartbar macht, dass die Ausgaben sich auch lohnen. Eine staatlich mitfinanzierte Investitionsruine in Duisburg wäre eine große Hypothek für den gesamten Umbau der Stahlindustrie. Es braucht jetzt Klarheit über den angestrebten weiteren Weg.

Eigentum verpflichtet. Bislang scheint es so, als fühlten sich Vorstand und Anteilseigner primär den Aktionären verpflichtet. Aber sie haben die Verantwortung für 100.000 Beschäftigte und deren Familien. Deshalb verstehe ich zwar die Aussage, dass Thyssenkrupp wieder „dividendenfähig“ werden müsse – in der aktuellen Lage muss sie den Beschäftigten bitter aufstoßen.

Noch ist es nicht zu spät. Das Restrukturierungskonzept liegt noch nicht vor. Es muss flankiert werden von klaren Finanzierungszusagen des Konzerns, damit die Dynamik der letzten Monate durchbrochen wird und die Zuversicht an die Standorte zurückkehrt.

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