Nord Stream-Komplex: Warum es einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss braucht

Als in dieser Woche in Berlin die Ukraine Recovery Conference stattfand, nutzte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dies für eine Rede vor dem Deutschen Bundestag. So klar und eindrücklich diese Rede war, so bedrückend schien das Setting der Ansprache. Dem Protokoll folgend wurde Selenskyj nämlich von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der amtierenden Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig begleitet – also von zweien, die die ukrainischen Sicherheitsinteressen über Jahre konsequent missachtet und stattdessen ein Projekt vorangetrieben haben, das quasi sinnbildlich für eine verfehlte, kurzsichtige und gegenüber Osteuropa  ignorante Politik im Umgang mit einem immer autoritärer auftretenden Russland unter Wladimir Putin steht: Nord Stream 2.

Nord Stream 2 steht – das muss man heute so hart sagen – für das größte wirtschafts-, energie- und außenpolitische Versagen seit Gründung der Bundesrepublik. Es ist nicht diese Pipeline allein, sondern die gesamte flankierende Politik, die jetzt durch Recherchen von BILD, Süddeutscher Zeitung und Handelsblatt erneut ins Scheinwerferlicht geraten ist.

Diese Recherchen zeigen, wie sehr die Große Koalition das Projekt Nord Stream 2 sogar nach der völkerrechtswidrigen russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 vorangetrieben hat – und sich dabei über alle Einwände und Sicherheitsbedenken, insbesondere der osteuropäischen Nachbarstaaten, der EU-Kommission und der USA, hinweg setzte. Passend dazu wurden 2015 sogar noch Gasspeicher an den russischen Staatskonzern Gazprom verkauft, die dann im Winter 2021/2022, kurz vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine, quasi leer waren.

Eine kolossale Fehlentscheidung. 

Die fatalen Auswirkungen erleben wir noch heute jeden Tag: Hohe Preise für Energie und Lebensmittel, wirtschaftliche Stagnation und gesellschaftliche Verunsicherung angesichts der vielen Krisen.

Wie geht eine demokratische und aufgeklärte Gesellschaft mit solchen Fehlern um? Es ist ja nicht so, dass sich alle gleichermaßen in der Natur Putins uns seines Regimes getäuscht hätten. Die Warnungen waren sogar Teil kontroverser Debatten im Deutschen Bundestag.

In Mecklenburg-Vorpommern tagt seit 2022 ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, der vor allem die Vorgänge um die Pseudo-Klimastiftung MV aufklären soll. Deren einziger Sinn und Zweck war die Umgehung der US-Sanktionen beim Bau der Ukraine-Umgehungs-Pipeline. Dieser Untersuchungsausschuss gerät, wenig überraschend, an die Grenzen seines Untersuchungsauftrags, weil zentrale Entscheidungen eben in den jeweiligen Bundesregierungen getroffen wurden.

In der letzten Woche habe deshalb einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) im Deutschen Bundestag gefordert. Ich kann rechnen und weiß, dass ein solcher Ausschuss nicht entsteht, weil er von einzelnen Abgeordneten – einige haben sich meiner Forderung zwischenzeitlich angeschlossen – gefordert wird. Leider habe ich aus den Fraktionen von SPD und CDU/CSU bisher ausschließlich dieses mathematische Argument gehört, warum ein solcher Untersuchungsausschuss nicht kommen würde. Bis heute ist mir keine inhaltliche Begründung bekannt, was dagegen spricht, diese Vorgänge einer ernsthaften parlamentarischen Aufklärung zu unterziehen.

Aus parteitaktischer Perspektive kann ich die Haltung von Union und SPD ja sogar verstehen. Aber als Demokrat kann ich sie nicht akzeptieren.

Ich habe deshalb umfassend Akteneinsicht bei mehreren Bundesministerien – konkret: dem Finanz-, dem Verteidigungs-, dem Wirtschaftsministerium und dem Auswärtigen Amt – sowie dem Bundeskanzleramt beantragt. Die Berichterstattung auf Basis der bisher verfügbaren Akten lässt nämlich, vorsichtig formuliert, die Annahme zu, dass aus all diesen Ministerien heraus eine Einflussnahme stattfand, die die Geschichte von dem vermeintlich privatwirtschaftlichen Projekt in Frage stellen würde.

Konkret geht es mir unter anderem um folgende Fragen:

  • Welche Schlüsse hat das Auswärtige Amt aus der Annexion der Krim für die geopolitische Bewertung des Pipeline-Baus gezogen?
  • Welchen Kontakt gab es zwischen dem Verteidigungsministerium und den Nord-Stream-Betreibern mit Blick auf den Austausch sensibler militärischer Informationen?
  • Welche Rolle spielten der damalige Bundesfinanzminister oder seine Staatssekretäre in den letzten Wochen vor Amtsübernahme der neuen Bundesregierung in Bezug auf die Versorgungssicherheitsprüfung?
  • Wurden zu dieser Zeit noch Entscheidungen forciert, die eine Inbetriebnahme der Pipeline ermöglichen sollten, obwohl der Füllstand der Gasspeicher ungewöhnlich gering war?

Ein Untersuchungsausschuss ist ein scharfes Schwert. Aber müsste es nicht im gemeinsamen Interesse der demokratischen Mitte sein, diese Fehler aufzuarbeiten, damit wir – etwa für den weiteren Umgang mit dem nicht weniger autoritär auftretenden China – daraus auch die richtigen Schlüsse ziehen können?

Ich nehme zur Kenntnis, dass die Union derzeit lieber einen Show-PUA dazu, dass in Deutschland drei Atomkraftwerke dreieinhalb Monate länger gelaufen sind als von Schwarz-Gelb ursprünglich geplant, einsetzen will. Vielleicht überlegen sich die Verantwortlichen ja aber auch noch einmal gründlich, ob das wirklich die richtigen Prioritäten sind und sie sich dem Verdacht aussetzen wollen, damit vom eigentlich energiepolitisch relevanten Thema abzulenken.

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